Rotterdam. Wu Jiaduo ist ein Mensch, der in sich ruht, wenn es um den Beruf geht, den des Tischtennisprofis. Diese Ruhe dokumentiert sie öfter auch nach außen. In den Spiel- und Vorbereitungspausen der Einzel-WM von Rotterdam ruht sie, so oft es geht. Auch an ungewöhnlichen Orten. Die Zeit zwischen ihren beiden Einzeln am Mittwoch reichte nicht aus, um zurück ins deutsche Mannschaftshotel zu fahren. Alle Sofas in der „Players‘ Lounge“, einem offenen Raum zwischen Haupt- und Nebenspielhalle nur mit Zugang für Akkreditierte im Sportpalast Ahoy, waren besetzt. So legte sich Deutschlands Nummer eins kurzerhand für eine knappe Dreiviertelstunde im kleinen Bus des Deutschen Tischtennis-Zentrums aufs Ohr, der vor der Arena abgestellt ist. „Geschlafen habe ich nicht, nur die Augen ein bisschen zugemacht und Musik gehört“, beschreibt Wu. „Es war so viel Lärm auf dem Spielplatz nebenan, ich musste aber das Fenster öffnen, weil ich im Bus sonst eine Sauna gehabt hätte.“ Die Ruhephasen braucht sie und nutzt sie sehr bewusst. „Dann kann ich im Spiel richtig Gas geben“, erklärt die Nummer 16 der Weltrangliste.
Wach war sie gegen Guo Yue, auch wenn die Partie einige Minuten früher begonnen hatte als geplant, weil Matches davor schneller beendet waren, als im Zeitplan vorgesehen. Woran es beim 0:4 scheiterte, war etwas anderes: „‘Dudu‘ war einen Tick zu freundlich“, war die treffende Analyse von Damen-Bundestrainer Jörg Bitzigeio. „Ihr hat der Killerinstinkt gefehlt.“ Mit 2:6 und 3:7 hatte seine Athletin gleich zu Spielbeginn in Rückstand gelegen. „Dann hat sie zum 8:8 aufholen können, ohne dass sie viel dafür tun musste“, beschreibt der Coach. „Bei diesem Stand muss sie einfach mit mehr Biss spielen, frecher agieren. Das hat sie in dieser Situation nicht gemacht, und das zog sich wie ein roter Faden durch das ganze restliche Spiel.“ Erst beim 0:3-Satzrückstand spielte die Kroppacherin etwas gelöster gegen die hohe Favoritin. „Eine kleine Chance hatte ich nur in diesem ersten Satz. Sie hat gleich sehr aggressiv gespielt, ich war zu passiv und zu brav“, stimmte Wu ihrem Trainer zu. Guo Yue, die Einzel-Weltmeisterin von 2007, die Wu in dem Jahr in der Runde der besten 32 gestoppt hatte, agiert wie ein technisch gut ausgebildeter Mann. Ihre Aufschläge sind ebenso gefürchtet wie ihre Rückschläge und ihre knallharten Vorhand-Topspins. „Alle ihre Schläge haben eine hohe Qualität“, bekam Wu wieder einmal zu spüren.
Der Teamgeist stimmt auch beim Einzelturnier
Die Bilanz der Europameisterin von 2009 in Stuttgart fällt jedoch positiv aus. „Mit dem Einzug ins Achtelfinale habe ich mein Ziel erreicht. Es war nur schade, dass ich schon so früh auf eine Chinesin treffen musste.“ Jörg Bitzigeio war bei seinem Fazit etwas zwiespältig. Hätte ihm vor Rotterdam jemand gesagt, eine seiner Athletin erreichte das Achtelfinale und insgesamt zwei qualifizierten sich direkt für die Olympischen Spiele 2012 – er hätte es sofort unterschrieben und gerne genommen. „Im Turnier aber hofft man immer auf eine kleine Sensation“, gibt Bitzigeio zu. „Wir haben keine riesen Überraschung nach oben geschafft, davon träumt man bei so einer WM ja, aber uns auch kaum einen Ausreißer nach unten geleistet.“ Ein positiver Verlauf für die gesamte DTTB-Trainingsgruppe. Das WM-Quintett war bis zum letzten Ballwechsel Wus komplett.
Auch wenn Wu Jiaduo die letzte deutsche Dame im Turnier war, waren ihre Teamkolleginnen noch nicht abgereist. Geschlossen saß die Mannschaft bei jedem Spiel Wus in der Box und feuerte sie an. „Ich muss gar nicht extra erwähnen, wann Dudu spielt und dass es schön wäre, wenn die anderen dabei sein könnten“, sagte Jörg Bitzigeio. „Es ist normal, dass sie ihre Teamkollegin unterstützen.“ Eben auch bei Einzel-Weltmeisterschaften. Dort habe zwar jede zu Beginn zunächst ihr eigenes Programm und ihren eigenen Rhythmus, aber danach sei es selbstverständlich, mit den anderen mitzufiebern. „Schon in unserem Nachwuchsbereich achten meine Kolleginnen Eva Jeler und Dana Weber sehr darauf und erziehen sozusagen unsere jungen Spielerinnen zum Teamgeist“, erklärte der 34-jährige Diplom-Sportwissenschaftler. Ein weiteres Plus: Sein Kader lebt und arbeitet gemeinsam am DTTZ in Düsseldorf. „Die Spielerinnen verbringen dort mehr Zeit miteinander als mit ihren jeweiligen Partnern. Wie in einer guten Ehe gibt es da natürlich auch manchmal den einen oder anderen Zwist; das muss auch so sein. Aber am Ende stehen alle wieder zusammen.“
Seine Damen sind sich bewusst, dass sie bei jedem ihrer Auftritte Deutschland repräsentieren. „Wichtig ist, dass wir als Damen-Nationalmannschaft ein positives Bild abgeben. In erster Linie natürlich spielerisch durch unsere sportlichen Leistungen. Aber eben auch durch unsere Einstellung, dass wir unser Land mit dem Adler auf dem Nationaltrikot würdig vertreten.“ Jörg Bitzigeio kann nach Abschluss der WM sicher sein: In Rotterdam hat das Team von ihm und Nachwuchskoordinatorin und Mädchen-Bundestrainerin Eva Jeler all diese Aufgaben voll erfüllt.
Damen-Einzel, Achtelfinale
Wu Jiaduo - Guo Yue CHN 0:4 (-8,-4,-8,-8)