Herning/Frankfurt. Timo Boll machte einen sichtlich gelösten Eindruck in der EM-Siegerpressekonferenz, er hatte es mal wieder geschafft. 16. Titel, der sechste im Einzel, die EM ist Bolls Turnier. Nur fünf Sätze gab der Rekord-Champion in sechs Partien ab. Doch so einfach, wie die nackte Statistik zeigt, war der sechste Titel für ihn nicht zu holen. „Wer mich kennt, der weiß, dass ich vor jedem Spiel Zweifel habe. Das sieht von außen alles immer so einfach aus. Viele denken, die Europameisterschaft ist für den Boll ein Selbstläufer. 90 Prozent zu geben reicht aber in so einem engen Feld nicht aus. Ich weiß, wenn ich nachlässig werde, dann geht es mir so wie Maze oder Dimi“, betonte der WM-Dritte von 2011 in Anspielung auf Michael Maze (Dänemark, Aus in der 1. Runde) und Dimitrij Ovtcharov (Niederlage im Viertelfinale). Andererseits sieht Boll auch andere Vorteile gegenüber der Konkurrenz. "Wenn man schon fünfmal Europameister geworden ist, kann man sicher entspannter ins Turnier gehen als etwa Dima."
"Mit mir ist in den kommenden Jahren zu rechnen"
"Viele haben ja schon geglaubt, jetzt kommt die Wachablösung. Aber so schnell gebe ich mich nicht geschlagen. Ich bin noch fit und motiviert. Mit mir ist in den kommenden Jahren noch zu rechnen", betonte der Weltranglisten-5, der die Olympischen Spiele in Rio 2016 im Auge hat. "Wenn ich weiterhin in dieser Form bin, wird es schwer, an mir vorbeizukommen", sagte Boll der Nachrichtenagentur dpa. Im kommenden Jahr stehen nach einer längeren Pause im Januar als Höhepunkt die Einzel-Weltmeisterschaften in Paris (13. - 20. Mai 2013) an. Im Sommer plant Boll ein weiteres Gastspiel in der chinesischen Super League.
BVB gratuliert - Boll antwortet
Schon wenige Minuten nach dem Finale hatte der Europameister jede Menge Textnachrichten auf seinem Smartphone. Zu den Gratulanten zählte auch der amtierende Deutsche Fußballmeister Borussia Dortmund. Der BVB ist Bolls Lieblingsverein. BVB-Pressesprecher Josef Schneck schrieb per SMS: "Wir freuen uns mit dir." Worauf Boll in Anspielung auf die Derby-Niederlage gegen Schalke 04 antwortete: "Und ich leide mit euch."
Ballwechsel gegen Gacina auch beim EM-Bankett Thema
Bolls Siegesfeier fiel kurz aus. Am Sonntagabend fand ein kleines Bankett bei einem Italiener in der Herninger Innenstadt stattt. Mit dabei unter anderem: Bronzemedaillengewinner Bastian Steger, DTTB-Präsident Thomas Weikert und Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig. Bei Pizza und Pasta ließ man das Turnier noch einmal Revue passieren. Thema war auch der unglaubliche Matchball Bolls im Viertelfinale gegen Andrej Gacina (Kroatien). Via Smartphone wurde der Ballwechsel noch mal abgespielt. "Wenn sich Andrej zu dem letzten Ball noch gehechtet und ihn auf den Tisch gespielt hätte, dann hätte ich ihm sofort die Hand gegeben und ihm zum Sieg gratuliert", sagte Boll später. Das Match gegen Gacina sei das härteste der EM gewesen, bekannte er. Kürzlich hatte der Boll in der Bundesliga gegen den Kroaten Matchballe abwehren müssen.
Trockengolf auf dem Flughafen in Billund
Am Montagmorgen ging es dann per Bus-Shuttle vom EM-Ort Herning nach Billund zum Flughafen. Nach der Landung in Frankfurt am Mittag wurde der Europameister von Ehefrau Rodelia in Empfang genommen, die auch die Siegertrophäe an sich nahm. Dem Ehepaar blieb nur ein paar Stunden gemeinsame Zeit am Flughafen, gegen 17 Uhr stieg Boll schon wieder in den Flieger, der Richtung Shanghai abhob. Vor dem Treffen mit den Golfstars um Martin Kaymer beim BMW Masters hatte der Düsseldorfer durchaus Respekt. "Da bin ich aufgeregter als vor dem EM-Finale. Ich habe ein bisschen Angst, mich bei den Stars zu blamieren", sagte Hobbygolfer Boll (Handicap 22). In diesem Jahr habe er aufgrund der Höhepunkte WM und Olympia kaum Zeit gehabt, an seinem Spiel zu arbeiten. Darum nutzte er am Flughafen im dänischen Billund trotz des Muskelkaters die Zeit bis zum Abflug für ein paar trockene Schwünge.
Weitere Boll-Statements aus der EM-Sieger-PK
Timo Boll über "falsche Aufschläge"
In der PK wurde Boll auch auf die Aufschläge seines Finalgegners Tan Ruiwu angesprochen, die Nationalmannschaftskollege Bastian Steger während des Halbfinals moniert hatte. "Bei mir war das kein Problem, weil ich als Linkshänder in der anderen Ecke stehe und den Ball gut sehe. Ich kann Basti schon verstehen. Ich glaube, dass das ein generelles Problem im Tischtennis ist, worauf wir Spieler auch hinweisen und uns stark machen, dass da was passiert. Viele Spieler gehen bei den Aufschlägen ans Limit. Die Schiedsrichter können das von ihren Positionen kaum sehen. Vielleicht sollte man mal über einen dritten Schiedsrichter nachdenken." Finalist Tan Ruiwu äußerte sich auch: "Es gibt keinen Spieler, der 100 Prozent korrekte Aufschläge macht", so der Kroate.
Boll über Michael Maze
Vor den Journalisten äußerte sich Boll außerdem über das frühe EM-Aus von Dänemarks Lokalmatador Michael Maze: "Auf der einen Seite ist es sehr schade, dass Michael so früh raus ist. Es wären sicher deutlich mehr Zuschauer gekommen, wenn er länger drin geblieben wäre. Auf der anderen Seite hatte ich so einen Konkurrenten weniger." Dass Maze möglicherweise auch Opfer der hohen Erwartungshaltung geworden ist, kann Boll unterstreichen. "Er war die große Hoffnung im Land. Da fokussiert sich alles auf dich. Ich habe ihm vorher auch gesagt, dass das gefährlich werden kann", berichtete Boll.