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Erfolgreiches Duo bei der EM: Jörg Roßkopf (r.) und Zhu Xiaoyong (Foto: MS)

Roßkopf: "Bei Spielern hält die Euphorie länger an"

SH 21.09.2010

Frankfurt/Main. Viel Zeit zur Freude über das Erreichte und für seine Familie bleibt Jörg Roßkopf nicht. Gestern ist er von den Europameisterschaften in Ostrava zurückgekehrt, ein paar Spielanalysen von der EM sind noch offen, am Dienstagabend geht’s zum Pokalspiel zwischen Frickenhausen und Hanau, am Montag ist der Abflug zum World Team Cup in Dubai. Tag zwei nach dem Gewinn von drei Einzelmedaillen fühle sich noch gut an, aber mit dem Kopf ist der 41-jährige Herren-Bundestrainer schon bei den künftigen Zielen.

Wie fühlt sich Tag zwei nach dem Medaillenregen an?

Jörg Roßkopf: Es fühlt sich auch heute immer noch gut an. Viele haben unsere Medaillengewinne mitbekommen und sich für unsere Mannschaft gefreut. Für mich war die Anspannung bei meinem ersten großen Turnier als Bundestrainer natürlich schon groß. Es war nicht selbstverständlich, dass wir in Ostrava so gut gespielt haben und ich so zufrieden sein konnte. Entscheidend war für mich, dass unsere Herren spielerisch und taktisch vieles umsetzen konnten, was wir uns vorgenommen hatten. Wir müssen uns natürlich weiter verbessern, denn wir haben hohe Ziele.

Wenn deine Herren bei der WM in Rotterdam 2011 die Form und den "Kopf" von Ostrava hätten: Wärst du damit zufrieden oder reicht das zum Beispiel gegen China noch nicht aus?

Damit wäre ich definitiv nicht zufrieden. Wir müssen uns bis dahin weiter steigern. In der kurzen Zeit, die ich jetzt Bundestrainer bin, hatten wir noch keine Zeit, als DTTB-Trainerteam und zusammen mit den Vereinstrainern viele Sachen im täglichen Training umzusetzen. Ich hoffe, dass wir in Rotterdam in noch besserer Form sein werden. Bei einer Einzel-WM liegt der Fall ohnehin noch einmal anders: Hier verfolgt jeder seine eigenen Ziele. Timo will um eine Medaille mitspielen, die anderen wollen zunächst einmal ihre jeweiligen Setzpositionen erfüllen. Um dies zu erreichen, müssen alle weiterhin hart an sich arbeiten.

Sie sind mehr als nur Coach und Spieler: Jörg Roßkopf und Timo Boll (Foto: MS)Wie lang hält die Euphorie über gewonnene große Titel normalerweise an? Bis du das nächste Mal auf der Bank sitzt und coachst oder nur bis zum nächsten Gang in die Trainingshalle?

Bei einem Spieler hält die Euphorie deutlich länger an: Man hat sich viel Selbstvertrauen durch erfolgreiche Spiele geholt und einen guten Rhythmus. Bei einem Trainer verfliegt die Euphorie schnell. Nächste Woche treffen wir beim World Team Cup in einer etwas anderen Aufstellung auf die absolute Weltspitze. Da wird man als Trainer schnell von der Gegenwart eingeholt.

Dass wir in Ostrava so erfolgreich waren, bleibt für mich als Trainer natürlich wichtig: Jetzt kann ich den Spielern mehr abverlangen, als wenn wir bei der EM katastrophal gespielt hätten und jetzt erst einmal Aufbauarbeit geleistet werden müsste. Trotzdem dürfen wir nicht verkennen: Eine WM hätte für uns nicht so euphorisch geendet. Europa hat ein riesen Problem im Nachwuchsbereich; die früheren Topspieler sind in die Jahre gekommen. In Deutschland haben wir das Problem nicht, unsere Spieler sind erfahren, aber trotzdem noch jung. Aber auch wir müssen darauf achten, dass bei uns immer neue, junge Spieler auf hohem Niveau nachkommen.

Vor der EM hattest du mit deinem Vorgänger Richard Prause als Herren-Bundestrainer geflachst: „Wenn wir am Mittwoch kein Mannschaftseuropameister werden, sitzt du am Donnerstag wieder auf der Bank." Im Nachhinein gefragt: Wie viel Spaß und wie viel Ernst waren bei dieser Aussage?

Bei dieser Aussage war wirklich nur Spaß dabei. Der Verband hat Vertrauen in mich, und ich kann gut einschätzen, dass die Mannschaft auch so denkt, und das ist entscheidend. Natürlich war das Ziel, mit den Nummern eins, drei und vier in Europa bei der EM auch Medaillen zu gewinnen. Priorität haben aber die Großereignisse in 2011 und 2012.

Wie interessant waren für dich als Bundestrainer die deutschen Duelle: Boll gegen Süß und Boll gegen Baum im Einzelwettbewerb? Lohnt es sich, diese zu analysieren oder sind das Spezialfälle, die im Vergleich mit Spielern anderer Nationen nicht auftreten?

Diese Spiele sind für mich sehr wichtig zu sehen. Hier zeigen sich die Motivation der Spieler und ihre taktischen Überlegungen. Spieler wie Christian oder Patrick mussten zeigen, dass sie unsere Nummer eins angreifen wollten und nicht mit der Einstellung ins Spiel gehen: „Timo ist sowieso besser als ich." Sie haben ihre Sache beide sehr gut gemacht, Christian im Halbfinale und Patrick im Finale. Sie haben Timo so unter Druck gesetzt, dass er sein bestes Tischtennis zeigen musste. Man hat deutlich gemerkt, dass sie sich vor den Spielen Gedanken gemacht haben.

Ich analysiere gerne Duelle von Spielern einer Nation, zum Beispiel bei den Chinesen Ma Lin gegen Ma Long. Sie kennen sich in- und auswendig. Da entscheiden dann taktische Feinheiten über Sieg und Niederlage, die in diesen Spielen zum Vorschein kommen.

Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig hat dich gegenüber Journalisten gelobt und in Ostrava gesagt: "Ich habe nicht das Gefühl, dass da unten ein Debütant an der Bande steht, vielmehr ein alter Hase." Was bedeutet dir eine solche Aussage?

Es ist eine wichtige Rückendeckung für mich, die ich bei Dirk schon immer gespürt habe. Ich allein als Bundestrainer kann aber nichts bewirken, sondern ich brauche die Unterstützung meiner Assistenztrainer, Xiaoyong und ‚Bobo‘ (Zhu Xiaoyong und Slobodan Grujic, Anmerkung von tischtennis.de), und der Vereinstrainer.

Die EM war ein guter Start, aber ich weiß, dass gerade die öffentliche Meinung schnell umschlagen kann. Ich habe die Kritik nach der EM in Aarhus nicht vergessen (Beim Turnier in Dänemark 2005 schieden die DTTB-Herren im Viertelfinale gegen Rumänien überraschend aus, Anmerkung von tischtennis.de).

Wichtig ist für mich auch, wie die Spieler mich sehen. Sie müssen wissen, dass ich hinter ihnen auf der Bank die totale Ruhe und Kontrolle habe – auch bei kritischen Situationen wie gegen Frankreich, als nach ‚Dimas‘ Verletzung nicht klar war, ob er zu seinem zweiten Einzel überhaupt würde antreten können. Solche Situationen kann man nicht vorhersehen. Trotzdem muss der Trainer die Übersicht bewahren.

Bei der WM in Moskau war Richard Prause in der Verantwortung, Roßkopf der Assistent (Foto: MS)Was hat den Unterschied gemacht zwischen WM und EM – zwischen der Position als Assistenztrainer unter Richard Prause und der des verantwortlichen Bundestrainers?

Der Unterschied ist sehr groß. ‚Richie‘ hat mich zwar in alles einbezogen, aber am Schluss war es seine Entscheidung. Jetzt stehe ich in vorderster Front. Ich bespreche mich zwar mit dem Trainerteam und teilweise auch mit den Spielern, aber die Verantwortung habe letztlich ich, ob es gut oder schlecht läuft.

Es ist wichtig für mich, diese Erfahrung auch weiterhin zu sammeln. Denn manche Entscheidungen sind nicht einfach. Wir hatten einen Kreis von elf Spielern, die mit zur EM hätten fahren können. Ich kenne noch meine eigene Enttäuschung darüber gut genug, wie es war, wenn ich nicht spielen durfte. Jetzt musste ich Spielern wie Steffen Mengel, Zoltan Fejer-Konnerth und Ruwen Filus sagen, dass und warum sie nicht dabei sind und ich zum Beispiel Patrick Franziska für die EM nachnominiert habe. Das war schon schwer für mich.

Du bist mit einem neuen Trainerteam in den neuen Job gestartet: Zhu Xiaoyong ist dein Assistent, Slobodan Grujic Honorartrainer. Wie gut hat das Team in Ostrava funktioniert, und wie ist eure Aufteilung?

Es bei uns sehr gut funktioniert. ‚Bobo‘ wird nur bedingt bei Lehrgängen vor Ort sein, sondern ist mehr der Coach an der Box. Am Stützpunkt in Hanau und für Hessen arbeitet er eng mit Mengel, Franziska und Floritz zusammen. Er ist von allen Spielern akzeptiert und hatte schon als Spieler ein sehr, sehr gutes taktisches Verständnis, das er auch anderen gut vermitteln kann.

Xiaoyong ist ein sehr guter Trainer, er analysiert hervorragend, ist gerne in der Halle und arbeitet mit den Spielern, ist sehr hilfsbereit und zusammen mit Danny Heister mein Mann in Düsseldorf. Ich kümmere mich tageweise um die Arbeit an den verschiedenen Trainingsorten. Wir sind ein Trainerteam mit hoher Kompetenz und guten Kontakten zu den Vereinstrainern. Die Zusammenarbeit mit den Vereinen ist sehr wichtig, um unsere Philosophie in der täglichen Vereinsarbeit mit unseren Nationalspielern umsetzen zu können. Lehrgänge alleine würden dazu nicht ausreichen.

 

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