Bremen. Ein Traumfinale im Herren-Einzel ist möglich: Die beiden topgesetzten Timo Boll (Düsseldorf) und Dimitrij Ovtcharov (Orenburg) nahmen ihre Hürden am Samstag relativ locker und stehen am Sonntag im Halbfinale. Dem 4:1 gegen den Taiwanesen Chen Chien-An ließ der Weltranglisten-5. Boll ein 4:0 gegen Koki Niwa folgen. „Der 18-jährige Japaner ist eines der größten Nachwuchshoffnungen der Tischtenniswelt“, hatte der Deutsche vor dem Viertelfinalmatch gesagt. An einen Boll in dieser Form biss sich der japanische Jungstar vom Bundesligisten TTC matec Frickenhausen allerdings die Zähne aus. "Ich habe die Bälle gut platziert und ihn immer beschäftigt. Er war ziemlich wirr in seinem Spiel, kam gar nicht zu dem, was er sich vorgenommen hatte", erklärte Boll sein Erfolgsrezept. Die Beine seien nun schon etwas schwerer, aber: "Der Kopf funktioniert gut, ich habe viel Selbstvertrauen, einen guten Spielrhythmus und treffe die richtigen Entscheidungen", befand die deutsche Nummer eins, die im Halbfinale auf Singapurs Spitzenspieler Gao Ning trifft. Die internationale Bilanz (5:0) spricht eindeutig für Boll, der die German Open am Sonntag zum fünften Mal gewinnen könnte.
Vor allem einer wird etwas dagegen haben: Boll-Kumpel Dimitrij Ovtcharov. Der an Position zwei gesetzte 24-Jährige hat in bislang vier Einzeln noch keinen einzigen Satz abgegeben und rauschte am Samstag mit Siegen über seinen Teamkollegen bei Fakel Gazproma Orenburg, Alexey Smirnov, sowie über Zhan Jian aus Singapur in das Halbfinale. Für Begeisterung in der Arena sorgte ein Punkt Ovtcharovs zum 9:4 im vierten Satz, als der 24-Jährige in Jan-Ove-Waldner-Manier einen harten Topspin intuitiv und unerreichbar für Zhan Jian retournierte. „Der einzige Unterschied war, das Jan-Ove bei einem ähnlichen Ball noch weggeguckt hatte“, so Ovtcharovs Reaktion auf diesen spektakulären Punkt.
Ovtcharov gegen Chuang – Erinnerungen an London 2012 werden wach
Im Halbfinale trifft der zweifache Bronzemedaillengewinner von London nun auf den an Position drei gesetzten Chuang Chih-Yuan aus Taiwan. Ovtcharov gegen Chuang – das ist nicht nur irgendein Halbfinale, sondern eines mit besonderem Prestige. Es ist die Neuauflage des Bronze-Matches von London. Das bis dato wichtigste Spiel in seiner Karriere hatte der Deutsche mit 4:2 gewonnen. Chuang, der für den SV Werder Bremen in der Bundesliga spielt, brennt auf Revanche.
Der dritte deutsche Viertelfinal-Teilnehmer Bastian Steger musste dem Koreaner Kim Min Seok nach sieben Sätzen zum Sieg gratulieren. Keine Frage: Das war eine bittere Niederlage für den amtierenden nationalen Einzel- und Doppelmeister. „Ein paar einfache Rückhand-Fehler im siebten Satz“ seien entscheidend gewesen, bedauerte der 31-Jährige vom 1. FC Saarbrücken. Da wurde dann aus seiner 5:4-Führung ein 5:11.
Shan Xiaonas Siegeszug von der Europameisterin gestoppt
Die dritte Abwehrspielerin in Folge war am Ende eine zu viel: Shan Xiaonas Siegeszug bei den German Open ist im Viertelfinale von der Europameisterin beendet worden. Die weißrussische Abwehrspielerin Viktoria Pavlovich zwang die 29-jährige Bundesligaspielerin vom FSV Kroppach in sechs Sätzen in die Knie. Shan Xiaona hatte zuvor mit der Vize-Europameisterin Xian Yifang (Frankreich) und Choi Moonyoung (Korea) schon zwei Defensivstrateginnen aus dem Wettbewerb genommen. Beim 4:3-Erfolg gegen Choi hatte Shan bereits mit 1:3 zurückgelegen.
Im Viertelfinale kam die Kroppacherin zunächst gut in die Partie, Pavlovich fand in den ersten beiden Sätzen kein richtiges Mittel gegen die mit kurzen Noppen auf der Vorhand agierende Penholderspielerin. Je länger das Match aber dauerte, desto besser lief es für die Weißrussin. Shan Xiaona hatte im sechsten Satz noch einen Satzball, Pavlovich wehrte diesen ab und nutzte ihren zweiten Matchball zum Sieg. Am Ende überwog bei der Bundesligaspielerin die Freude, dass sie es bei den German Open bis in die Runde der letzten Acht gepackt hatte. "Ich habe nie gedacht, dass ich so lange in Bremen bin", befand die 29-Jährige. Etwas Enttäuschung nach der 2:4-Niederlage schwang aber mit. "Ich habe gegen sie schon mal gewonnen. Ich finde, dass sie ihre Abwehr verbessert hat. Vielleicht war ich nicht mutig genug. Die Zuschauer haben mich klasse unterstützt", so Shan Xiaona, bei der gegen Ende hin auch etwas die Kraft nachließ. "Der Schlagarm ist im dritten Spiel gegen Abwehr schon ziemlich schwer geworden."
Petrissa Solja: „Mir sind die Tränen gekommen“
Den ersten Titel für Deutschland bei den diesjährigen German Open hat Petrissa Solja (Linz) geholt. Im Finale besiegte die 18-jährige Linkshänderin die Taiwanesin Cheng I-Ching in sechs Sätzen. Für Petrissa Solja fiel nach dem Sieg vor allem eine mentale Last ab. „Ich musste mich auf jeden Ball 120-prozentig konzentrieren“, sagte sie. „Vieles hat sich bei diesem Spiel in den Aufschlag-Rückschlag-Situationen entschieden und beim ersten Ball.“ Entscheidend sei ihre mentale Stärke gewesen. „Außerdem hat es gut getan, dass die ganze Halle für mich war. Bei German Open, eben vor heimischem Publikum zu gewinnen, ist noch schöner als woanders. Mir sind die Tränen gekommen, nachdem ich gewonnen hatte.“
Die Damen-Bundestrainerin lobte unter anderem die Kreativität ihres Schützlings im Finale: „Gegen eine Gegnerin wie Cheng darfst du nicht immer die gleiche Platzierung spielen. Du musst dir etwas einfallen lassen und gleichzeitig ihr Spiel gut lesen", erklärte Jie Schöpp. "Das hat Peti sehr gut gemacht. Sie hatte viele gute Ideen, hat sehr variabel gespielt und war hoch konzentriert.“ Schöpp ist auch vom Potenzial des Jungprofis überzeugt: „Ich weiß, dass sie noch besser spielen kann, und das freut mich sehr.“
Solja/Winter im Doppel-Finale
Für Petrissa Solja könnte es ein goldiges German-Open-Finalwochenende werden. Den U-21-Titel hat sie schon in der Tasche, ein weiterer Titel im Damen-Doppel könnte hinzukommen. Am Sonntag steht Solja mit Sabine Winter im Doppel-Endspiel der Damen. Schon am Freitag hatte das Duo in der ÖVB-Arena furios aufgespielt, am Samstag schafften die beiden sogar den Einzug in das Finale. Überglücklich umarmten sie sich nach dem Halbfinalerfolg über die Deutschen Meister und EM-Dritten Wu Jiaduo/Kristin Silbereisen. „Den vierten Satz haben wir verschenkt“, ärgerten sich Silbereisen vom FSV Kroppach, und ihre Vereinskollegin Wu Jiaduo pflichtete ihr bei: „Dass wir die Chance auf eine 3:1-Führung vergeben haben, war wohl entscheidend für den Spielverlauf.“
„So gut wie hier haben wir noch nie zusammen gespielt“, strahlte Sabine Winter, 20 Jahre, vom SV DJK Kolbermoor, im letzten Jugendjahr sei es zwar phasenweise „nicht so gut gelaufen“, doch hätten sie „schon damals gemerkt, dass wir gut zusammenpassen“. Als überaus vorteilhaft betrachten die beiden jungen Frauen ihre intensive Kommunikation. „Dabei geht es zum Teil um Taktik, vor allem aber um Motivation“, berichtete Petrissa Solja, 18 und beim österreichischen Erstligisten Linz AG Froschberg unter Vertrag. Und die jüngste Aktive im Halbfinal-Quartett ließ noch mehr durchblicken: „Ich spreche nur mit Sabine so viel, aber Sabine redet mehr.“ Allerdings: Allzu viele taktische Optionen hätten sich in diesem Vergleich ja nicht geboten, analysierte Sabine Winter, „man kennt sich doch aus dem Training und weiß, was die anderen machen“. Einzige Hoffnung insofern beim eigenen Time out („das war Petis Idee und ich habe zugestimmt“) sei deswegen die Hoffnung gewesen, „dass bei den anderen ein wenig der Rhythmus gestört wird“. Einig waren sich die beiden glücklichen Siegerinnen auch beim Blick auf das Endspiel am Sonntag: „Wir freuen uns unheimlich darauf, auch auf ein Spiel vor so großem Publikum.“ Das werde sicher ein großes Erlebnis, ist das Duo überzeugt und versprach: „Wir werden unser Bestes geben.“
Die Partien am Finalsonntag in der Übersicht
Damen-Einzel, Halbfinale
10 Uhr: Shen Yanfei ESP - Jiang Huajun HKG
10:45 Uhr: Viktoria Pavlovich BLR - Iveta Vacenovska CZE
Herren-Einzel, Halbfinale
11:30 Uhr: Timo Boll - Gao Ning SIN
12:15 Uhr: Dimitrij Ovtcharov - Chuang Chih-Yuan TPE
Damen-Doppel, Finale
14:30 Uhr: Petrissa Solja/Sabine Winter - Jiang Huajun/Lee Ho Ching HK
15:15 Uhr: Herren-Einzel, Finale
16 Uhr: Damen-Einzel, Finale
Herren-Doppel-Finale
16:45 Uhr: Jiang Tianyi/Wong Chun Ting HKG - Tan Ruiwu CRO/Wang Zengyi POL
Die Spiele und Ergebnisse der Deutschen am Samstag
Damen-Doppel, Viertelfinale, 10 Uhr
Petrissa Solja/Sabine Winter - Guan Meng Yuan/Ng Wing Nam HKG 4:1 (4, -7, 5, 6, 6)
Kristin Silbereisen/Wu Jiaduo - Doo Hoi Kem/Li Ching Wan HKG 4:1 (7, 7, 9, -7, 4)
Halbfinale
14:30 Uhr: Petrissa Solja/Sabine Winter - Kristin Silbereisen/Wu Jiaduo 4:3 (5, -5, -8, 8, -8, 8, 7)
Finale am Sonntag um 14:30 Uhr
Petrissa Solja/Sabine Winter - Jiang Huajun/Lee Ho Ching HKG
Herren-Doppel, Viertelfinale
Patrick Franziska/Ricardo Walther - Ovidiu Ionescu/Hunor Szocs ROU 0:4 (-11, -5, -5, -11)
Damen-Einzel, Achtelfinale
Shan Xiaona - Choi Moonyoung KOR 4:3 (-6, -10, 5, -8, 6, 6, 5)
Viertelfinale
Shan Xiaona - Viktoria Pavlovich BLR 2:4 (7, 5, -6, -9, -4, -11)
Halbfinale und Finale am Sonntag
Herren-Einzel, Achtelfinale
Timo Boll - Chen Chien-An TPE 4:1 (7, 11, -4, 9, 9)
Bastian Steger - Kim Min Seok KOR 3:4 (-14, -10, 10, 6, -7, 9, -5)
Dimitrij Ovtcharov - Alexey Smirnov BEL 4:0 (4, 4, 8, 8)
Viertelfinale
Timo Boll - Koki Niwa JPN 4:0 (7, 4, 9, 3)
Dimitrij Ovtcharov - Zhan Jian SIN 4:0 (9, 5, 8, 4)
Halbfinale und Finale am Sonntag
U21, Herren, Viertelfinale
Patrick Franziska - Pavel Sirucek CZE 3:4 (-9, -10, 9, 9, -5, 9, -9)
U21, Damen, Viertelfinale
Petrissa Solja - Doo Hoi Kem HKG 4:3 (2, 6, -9, -9, 9, -11, 5)
Halbfinale
Petrissa Solja - Camelia Postoaca ROU 4:1 (-9, 8, 6, 6, 8)
Finale
Petrissa Solja - Cheng I-Ching TPE 4:2 (9, -9, 2, -9, 5, 11)