Bremen. Den German-Open-Titel Nummer fünf musste der bisherige vierfache Champion Timo Boll (Düsseldorf) diesmal seinem Kumpel überlassen. Der an Position zwei gesetzte Dimitrij Ovtcharov (Orenburg) gewann am Sonntag das Endspiel in sechs Sätzen. Nach 2011 (Brazil Open, Korea Open) und 2010 (Indian Open) war es sein vierter Einzeltitel auf der World Tour. "Es ist schön, dass hier ein Deutscher gewonnen hat. Bei mir hat das Feuer nicht mehr so gelodert. Er war pfiffiger, spritziger und ich konnte den Schalter nicht mehr umlegen. Es ist schon in Ordnung, dass Dima gewonnen hat. Er war heute der Stärkere, und das erkenne ich voll an", zeigte sich der topgesetzte Europameister Boll als fairer Verlierer. „Ich wollte diesen Titel unbedingt. Timo hat ja schon ein paar Mal die German Open gewonnen“, sagte Ovtcharov, Europas Rekord-Gewinner bei den Olympiamedaillen. „Ein World-Tour-Turnier in Deutschland zu gewinnen, ist etwas ganz Besonderes. Und in so einem Finale auch noch Timo zu schlagen, ist noch spezieller. Es ist kein Olympia, aber trotzdem ganz groß.“
Erst Bumm Bumm Bumm, dann Spin, Spin, Spin
Im ersten deutschen Finale seit 49 Jahren - zuletzt hatten sich Eberhard Schöler und Erich Arndt 1963 bei Internationalen Deutschen Meisterschaften gegenübergestanden - hatte Ovtcharov eine 2:0-Führung Bolls egalisiert. „Er hat besser aufgeschlagen, ich habe seine Bälle nicht mehr so gut gelesen und viele einfache Fehler gemacht“, befand Boll, der vor der Partie eine 5:2-Bilanz auf internationaler Ebene gegen Ovtcharov vorzuweisen hatte. „Nach dem schweren Halbfinale gegen Chuang habe ich gegen Timo erst gar nicht ins Spiel gefunden“, beschrieb Dimitrij Ovtcharov den Verlauf der ersten beiden Durchgänge. „Die beiden spielen komplett unterschiedlich. Bei Chuang geht es immer nur „Bumm, bumm, bumm“, und Timo hat dann diese enormen Spinvariationen. Als Timo bei seiner 2:0-Führung dann einen Kantenball zum 5:5 gemacht hat, dachte ich, das Spiel läuft komplett an mir vorbei, und ich habe mit mir gehadert.“ Doch dann habe er gespürt, er habe doch noch eine Chance. „Ich musste aggressiv von beiden Seiten spielen, und irgendwann ist mir das endlich gelungen.“ Nach vier weiteren Sätzen hatte er sein nächstes großes Ziel in diesem Jahr erreicht. Ovtcharov nahm neben dem Siegerpokal auch einen Scheck über 14.000 US-Dollar mit nach Hause, dem Zweitplatzierten Boll bleiben 7.000 US-Dollar.
Im Halbfinale gegen den für Werder Bremen in der Bundesliga spielenden Taiwanesen Chuang Chih-Yuan hatte Ovtcharov schon kurz vor dem Aus gestanden. Im siebten und entscheidenden Satz wehrte der 24-Jährige in starker Manier zwei Matchbälle ab und gewann 13:11. Timo Boll hatte im zweiten Halbfinale Gao Ning aus Singapur keine Chance gelassen.
Solja/Winter feiern mit Weingummi
Es war aus deutscher Sicht der schönste Erfolg bei diesen German Open, weil von kaum jemandem erwartet. Und er war so schön, weil Sabine Winter (Kolbermoor) und Petrissa Solja (Linz) mit ihrer Spielfreude und ihrer positiven Art das Publikum in der ÖVB-Arena in den Bann gezogen hatten. Im Finale machte das junge Duo da weiter, wo es in den letzten Tagen aufgehört hatte. Solja (18 Jahre)/Winter (20) zeigten gegen die auf dem Papier favorisierten Jiang Huajun/Lee Ho Ching (Hongkong) eine klasse Vorstellung, spielten druckvoll, aber auch raffiniert und sicher und riefen insbesondere in den knappen Situationen (Sätze drei und vier) ihr bestes Tischtennis ab. Die Zuschauer dankten es den beiden mit viel Applaus. "In so einem Spiel muss man auch mal was riskieren. Was für Bälle teilweise gespielt wurden, war echt unglaublich. Man freut sich, und es ist einfach schön", betonte Solja nach dem mit hochklassigen Ballwechseln gespickten Doppel-Endspiel. Die Nacht vor dem Finale sei kurz gewesen, erzählte sie. "Wir haben beide schlecht geschlafen, sind früh aufgewacht. Das lag wohl an der Aufregung.“ Der kurze Schlaf schadete nicht. Für das hier in Bremen perfekt harmonierende Siegerdoppel war es der erste große Erfolg auf der World Tour, mal abgesehen von Soljas Sieg im U-21-Wettbewerb am Samstag. Feiern wollten die beiden ihren Triumph auch, aber nicht etwa mit einem Schlückchen Sekt, sondern mit Weingummi. "Wir wollen noch an den Haribo-Stand, das haben wir uns jetzt verdient", sagte das Siegerduo unisono.
Für Petrissa Solja war es der zweite Titel bei den German Open. "Es ist wie ein Traum, ich kann das gar nicht glauben“, kommentierte die Linkshänderin. Mit Sabine Winter spielte sie schon in Jugendzeiten zusammen. Winters vorhandorientiertes Powertischtennis gepaart mit Soljas Händchen und Gefühl – das passt. Damen-Bundestrainerin Jie Schöpp freute sich: „Ich bin mehr als zufrieden. Ich muss zugeben, dass ich vor dem Turnier nicht gedacht habe, dass die beiden hier den Titel holen. Sie haben perfekt gespielt.“ Der DTTB baut auf das erfolgreiche Youngster-Doppel. „Ich hoffe, dass das erst der Anfang ist. Sie haben ein noch größeres Potenzial, und dieser Erfolg wird ihnen noch einen weiteren Motivationsschub geben.“
Auch das unterlegene Duo aus Hongkong erkannte die Leistung Solja/Winters an: "Die beiden waren sehr gut und schnell, Gratulation meinerseits", betonte Lee Ho Ching. Und Partnerin Jiang Huajun sagte: "Die jungen Gegnerinnen sind sehr stark. Sie haben sich in einen Rausch gespielt, wurden immer stärker und sicherer. Man merkt einfach, dass sie ein eingespieltes Team sind. Die deutschen Zuschauer sind ebenfalls beeindruckend. Nach jedem Ball haben sie ihr Duo angefeuert."
Topgesetzte Shen Yanfei gewinnt die German Open
Die an Position eins gesetzte Weltranglisten-11. Shen Yanfei (Spanien) ist ihrer Favoritenstellung gerecht geworden. Im Endspiel bezwang Shen die Überraschungsfinalistin Iveta Vacenovska aus Tschechien mit 4:2. Vacenovska hatte im Halbfinale die Europameisterin Viktoria Pavlovich geschlagen und unter anderem in der ersten Runde Sabine Winter hauchdünn in sieben Sätzen mit einem Netzroller am Ende bezwungen. "Shen hat eine besondere Spielart, die keine andere Spielerin hat. Das Problem ist, dass sie nah am Tisch bleibt und dass die Bälle sehr schnell zurückkommen. Und da ist es schwierig, dann darauf zu reagieren", analysierte die Zweitplatzierte Vacenovska. "Ich bin sehr glücklich, ins Finale gekommen zu sein, aber im Moment bin ich natürlich traurig, dass ich verloren habe. Insgesamt war es ein sehr gutes Turnier für mich." Titelträgerin Shen Yanfei sagte: "Im vierten Satz beim Rückstand habe ich meine Taktik gewechselt, mehr mit Seitschnitt gespielt. Das hat sich ausgezahlt. In den Sätzen danach war ich noch aggressiver.“ Beste Deutsche in Bremen war die für den FSV Kroppach in der Bundesliga spielende Shan Xiaona. Die 29-jährige Penholderspielerin, die seit September einen deutschen Pass besitzt, erreichte das Viertelfinale.
Das Finale im Herren-Doppel war eine klare Sache. Jiang Tianyi/Wong Chun Ting aus Hongkong ließen gegen den EM-Zweiten Tan Ruiwu (Kroatien) und Wang Zengyi (Polen) nur einen Satzverlust zu. „Wir haben ganz schlecht gespielt und waren viel zu passiv“, sagte ein enttäuschter Wang Zengyi.
Die Partien am Sonntag in der Übersicht
Damen-Einzel, Halbfinale
Shen Yanfei ESP - Jiang Huajun HKG 4:0 (6, 9, 7, 4)
Iveta Vacenovska CZE - Viktoria Pavlovich BLR 4:3 (-6, 6, 5, -6, -4, 10, 5)
Herren-Einzel, Halbfinale
Timo Boll - Gao Ning SIN 4:0 (9, 7, 8, 13)
Dimitrij Ovtcharov - Chuang Chih-Yuan TPE 4:3 (9, -9, 8, -7, 8, -6, 11)
Damen-Doppel, Finale
Petrissa Solja/Sabine Winter - Jiang Huajun/Lee Ho Ching HKG 4:1 (3, -10, 12, 13, 6)
Herren-Einzel, Finale
Dimitrij Ovtcharov - Timo Boll 4:2 (-8, -7, 8, 7, 3, 8)
Damen-Einzel, Finale
Shen Yanfei ESP - Iveta Vacenovska CZE 4:2 (6, -8, -11, 8, 5, 8)
Herren-Doppel-Finale
Jiang Tianyi/Wong Chun Ting HKG - Tan Ruiwu CRO/Wang Zengyi POL 4:1 (2, 9, -9, 5, 7)