Bremen. Man sieht es gleich, der kleine Junge beherrscht den Vorhand-Topspin eigentlich. Fußstellung, Hüft- und Schulterdrehung, Gewichtsverlagerung, Absenkung der Schlagarmschulter nach hinten unten, Bewegung von Arm und Schläger, Einstellung des Schlägerwinkels – alles da. Aber immer einen mittelgroßen Tick zu spät. Er gibt sich große Mühe am Ballroboter im Fun-Park bei den German Open in Bremen. Trotzdem sammeln sich die Bälle auf seiner Seite des Netzes.
Denn der Kleine hat an diesem Sonntag für ein paar Minuten ein selbst gewähltes Handicap, das er im richtigen Leben nicht hat. Er trägt eine Taucherbrillen ähnlich so genannte Simulationsbrille, die ihm den Eindruck einer sehr starken Sehbehinderung vermittelt. Das rechte Brillenglas ist komplett schwarz abgeklebt, auf dem linken sieht man so stark verschwommen, wie es ein Mensch mit einer Einschränkung von zwölf Dioptrien ohne Brillenkorrektur erlebt.
Die Bälle erahnen: „total schwer“
Durch Gehör, Training und Erfahrung erahnt er die Bälle. „Es ist total schwer“, sagt er. Etwas besser als ihm geht es den etwas älteren beiden Jungen hinter ihm. Sie sitzen als „Fußgänger“ in Rollstühlen und machen erstmals die Erfahrung, wie stark das Sitzen sie einschränkt.
Ihr Trainingspartner ist Johannes Urban, mehrfacher Deutscher Meister in der Wettkampfklasse 8. Er sitzt zwar nicht im Rollstuhl, kann aber aus seiner vielfältigen Erfahrung im nationalen und internationalen Behindertensport gute Tipps geben. Und er spielt gnädig, damit sich der 15-jährige Benjamin und der fünf Jahre ältere Yannik nicht in die Quere kommen.
Yannik: „Die Bälle springen einen an“
„Man muss sich eine andere Schlägerhaltung angewöhnen“, empfiehlt der Berliner Benjamin. „Beim Wechsel von der Vorhand in die Rückhand ist es schwer, die richtige Entscheidung zu treffen. Und die Eröffnung ist für uns echt schwer.“
„Es ist definitiv anstrengender als gedacht“, sagt der 20-jährige Bezirksklassenspieler Yannik. “Die Perspektive ist schwierig. Die Bälle springen einen förmlich an. Man kann sich nicht richtig bewegen. Vorhand auf Unterschnitt zu spielen, ist unmöglich.“
Ziel: „Behindertensport präsentieren und in die Köpfe der Leute bringen“
Johannes Urban nimmt sich Zeit. Er spielt die Bälle zu, erklärt und spricht immer wieder neue Leute an, die in den Fun-Park strömen. „Wir wollen den Behindertensport präsentieren und in die Köpfe der Leute bringen, ihnen die Vielfalt zeigen. Dass und wie man Tischtennis mit einer Behinderung spielt“, erklärt er seine Mission. Der Deutsche Tischtennis-Bund hat die Aktion in Bremen ins Leben gerufen und unter Federführung von DTTB-Inklusionsmanager Frédéric Peschke die Kooperation mit dem Deutschen Behindertensportverband bzw. dem Deutschen Rollstuhl-Sportverband als dessen Fachverband intensiviert, um die Inklusion – das Miteinander von Menschen mit und ohne Handicap – voranzutreiben.
Urbans und Peschkes Aufgabe in Bremen ist auch Werbung in eigener Sache im Sinne der Mitgliedergewinnung. Regelsport und Behindertensport schließen sich nicht aus. Man kann also Mitglied in zwei Vereinen gleichzeitig sind, im Regelsportverein in der einen Mannschaft, im Behindertensportverein in der anderen. Oder der Regelsportverein eröffnet zusätzlich eine Behindertensportabteilung mit den entsprechenden Mannschaften.
Kinder haben die geringsten Berührungsängste
Wie Johannes Urban nicht behinderte Menschen bei solchen Präsentationen begegnen? „Gerade Kinder sind sehr aufgeschlossen, vor allem wenn wir wie hier Mitmachaktionen anbieten. Wir machen teilweise auch gemeinsame Lehrgänge mit Bezirks- und Landeskadern. Sie stellen dann beim Mittagessen Fragen, die ich von Erwachsenen normalerweise nicht höre, z.B. ob ich meine Behinderung von Geburt an habe.“ Erwachsene wollen das wahrscheinlich auch wissen, fragen aber selten danach. „Am Tisch spielt die Behinderung für Kinder keine Rolle. Ich habe immer sehr gute Erfahrungen gemacht, ob bei Schaukämpfen wie bei den Deutschen Meisterschaften im März in Wetzlar oder gemeinsamen Lehrgängen“, so Urban.
Er will mit dem Deutschen Behindertensportverband erreichen, dass der Para-Sport zur Normalität im Breiten- und im Leistungssport wird. „Er soll ins Bewusstsein der Menschen kommen. Dafür brauchen wir ab und zu auch eine große Bühne wie die German Open“, ist „Jojo“ klar, „und wir wissen natürlich auch, dass die Zuschauer nicht für uns und unseren Schaukampf in die ÖVB-Arena gekommen sind.“
Natürlich gibt es in Regelsportvereinen so manche Herausforderung. Zwei Treppenstufen sind für Rollis schon ein Problem. Insgesamt aber sind beim Tischtennis die Hürden eher gering. Das ist auch im Fun-Park mal wieder deutlich geworden.
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