Magdeburg. Die Einzel-Halbfinals bei den German Open in Magdeburg finden mit vierfacher deutscher Beteiligung statt. Mitfavorit Dimitrij Ovtcharov spielt um den Einzug ins Finale ebenso wie ein am Samstag vor 3700 Zuschauern in der GETEC-Arena entfesselnd auftrumpfender Steffen Mengel, der den Turnierfavoriten und achtfachen Weltmeister Wang Hao (China) sensationell aus dem Wettbewerb warf. Souverän zog die Team-Europameisterin Han Ying in das Damen-Halbfinale ein. Dort kommt es zum Duell mit Nationalteamkollegin Shan Xiaona, die sich im Achtelfinale gegen Irene Ivancan mit 4:3 behauptet hatte. Das Doppel Shan/Silbereisen verpasste den Finaleinzug knapp.
Dimitrij Ovtcharov erwies sich als Medienkenner. In der Mixed-Zone nach seinem Viertelfinal-Erfolg über den Japaner Kishikawa sagte der Europameister launig zu den Reportern: „Egal, was ich heute noch von mir gebe, Steffen wird die Schlagzeilen dieses Tages dominieren. Er hat hier schließlich die großen Überraschungen geschafft. Ich hoffe, dass wir beide noch ein Spiel gewinnen und uns dann im Finale treffen“, sagte der Deutsche Meister.
Trotz starker Leistungen von Ovtcharov im Achtelfinale gegen Nationalteamkollege Patrick Baum (4:1) und im Viertelfinale gegen Seiya Kishikawa (4:1) war es doch Steffen Mengel, dem am Samstag in der zeitweise brodelnden GETEC-Arena die meiste Anerkennung galt. Der 25-Jährige sorgte mit dem 4:3-Achtelfinalerfolg über den topgesetzten achtfachen Weltmeister und zweifachen Team-Olympiasieger Wang Hao (China) für die Sensation des Tages. Doch damit nicht genug. Der im Moment an Position 100 in der Weltrangliste notierte Mengel setzte im Viertelfinale noch einen drauf und ließ dem Weltranglisten-23. Cho Eonrae aus Korea beim 4:0 keine Chance.
Gegen den Weltranglisten-Fünften Wang Hao machte der Bundesligaprofi des TTC Frickenhausen eines seiner besten Spiele überhaupt. Im sechsten Satz
wehrte Mengel sogar drei Matchbälle ab. Aus einem 7:10 machte der entfesselnd aufspielende Rechtshänder ein 12:10. Mit der Unterstützung des Magdeburger Publikums war der Deutsche Meister von 2013 im siebten Satz nicht mehr zu halten. Standing Ovations und "Mengel! Mengel!"-Rufe waren die Folge. "Selten haben ich mich so gefühlt wie jetzt - vielleicht noch nie, oder höchstens nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft nach dem Finale gegen Timo. Ich weiß auch eigentlich gar nicht, was ich sagen soll, ich bin noch voller Adrenalin. Entscheidend war vielleicht, dass ich den sechsten Satz nach Abwehr von drei Matchbällen noch gedreht habe, und dann dachte ich: jetzt einfach Gas geben, das ist deine Chance. Und dass ich dann das Ding mit Unterstützung der Zuschauer gewinnen konnte, das ist wirklich ein unglaubliches Gefühl“, sagte Mengel nach seinem zweiten richtigen großen Coup.
Textilproblem bei Mengel vor dem Viertelfinale
Der erste war ihm im März 2013 bei den Deutschen Meisterschaften in Bamberg gelungen, als er als Underdog Timo Boll in sieben Sätzen bezwang und überraschend nationaler Champion wurde. Gut 13 Monate später hat Mengel noch einen drauf gesetzt. Erstmals steht er im Halbfinale eines World-Tour-Turniers der Super Series. In Magdeburg avanciert Mengel zudem zum China-Schreck: Vor Wang Hao hatte der Frickenhäuser bereits in der Qualifikation mit Yu Ziyang (4:3) und in der zweiten Runde mit Zhou Kai (4:2) zwei weitere Spieler aus dem Reich der Mitte geschlagen.
Nach dem Wang-Hao-Triumph brannte ein vor Selbstvertrauen strotzender Steffen Mengel im Viertelfinale gegen den Koreaner Cho ein weiteres Offensivfeuerwerk ab. „Ich wusste, ich habe das nächste Spiel vor der Brust. Da bleibt keine Zeit, über den Sieg gegen den Weltranglisten-Fünften nachzudenken. Ich habe mich für eine halbe Stunde zum Essen ins Hotel zurückgezogen und bin dann wieder zurück in die Halle. Ich brauche die Atmosphäre der Halle“, schilderte der 25-Jährige die Zeit zwischen den beiden Spielen. Und da war noch ein kleines Problem. Mengel, der seit Mittwoch im Einsatz ist, durch die Mühlen der Qualifikation musste und insgesamt vier Sieben-Satz-Matches in den Beinen hatte, hatte seinen kompletten Trikotsatz für Magdeburg aufgebraucht. Zum Glück war die Trikotsuche für das Viertelfinalspiel erfolgreich „Ich habe noch ein Trikot gefunden. Es muffelt zwar ein bisschen, aber zum Glück hat man ein bisschen Distanz“, schmunzelte der Halbfinalist.
Bundestrainer Jörg Roßkopf ahnt, was die Siege über den Topgesetzten und die Nummer 23 der Welt in Steffen Mengel auslösen. „Er zieht daraus unheimlich viel Selbstvertrauen. Es war wichtig, dass er nach dem Sieg über Wang Hao die Konzentration und Spannung gehalten hat. Das war nicht selbstverständlich. Er hat Cho regelrecht beherrscht.“ Dabei sei Cho einer der Südkoreaner aus dem WM-Aufgebot, die zuletzt am stärksten gespielt hätten. Roßkopf prophezeit allerdings: „Jetzt wird’s für Steffen noch schwieriger. In seinen letzten Spielen ist jeder Ball gekommen. Das wird wahrscheinlich nicht so bleiben.“ Im Halbfinale trifft der 195-Meter-Mann nun auf Japans Topspieler Jun Mizutani, die Nummer elf in der Welt. „Mizutani ist auf jeden Fall ein Weltklassespieler. Da muss ich wieder auf den Punkt da sein“, sagte Mengel. Und nach einem Waschgang am Abend wohl auch mit einem frischen Trikot.
Einen kleinen Vorgeschmack auf die Team-Weltmeisterschaft in Tokio konnte sich der nach dem Ausscheiden von Wang Hao zum Titelfavoriten aufgestiegene Dimitrij Ovtcharov machen. Im Viertelfinale hielt der 25-Jährige den Weltranglisten-30. Kishikawa mit 4:1 in Schach. Die Statistik sprach vor dem Match für den Deutschen. Die vergangenen vier Partien seit 2010 hatte Ovtcharov deutlich für sich entschieden. Und so kam es in der GETEC-Arena diesmal auch. Nur im zweiten Satz leistete sich der Weltranglisten-Sechste eine kleine Schwächephase. Danach dominierte der 25-jährige German-Open-Sieger von 2012 und Vorjahresfinalist das Geschehen wieder. "Ein klarer Sieg vor der WM in Tokio", spielte der Orenburger auf die Welttitelkämpfe Ende April an.
Bundestrainer Jörg Roßkopf sah ein „variables und konzentriertes Spiel“ seines Schützlings, das „im Ergebnis sehr klar war“. Man müsse jedoch berücksichtigen, dass sich die Stars in der unmittelbaren WM-Vorbereitung befänden, „vor allem die Japaner wollen bei ihrer Heim-WM glänzen“, so Roßkopf. „Wir können davon ausgehen, dass sich bis Tokio alle noch steigern.“
Han Ying vs. Shan Xiaona – zum dritten
Es war ihr viertes Einzel bei den German Open, und noch immer hat ihr keine der Spitzenspielerinnen einen Satz abnehmen können. Weder die ehemalige mehrfache Jugend-Europameisterin Cristina Hirici, noch Hongkongs Weltranglisten-24., Doo Hoi Kem, die Japanerin Sayaka Hirano aus dem Olympia-Silber-Team von London oder nun Europameisterin Li Fen. Han Yings Abwehr-Bollwerk in der GETEC-Arena steht. Auch gegen Gegnerinnen, die gemeinhin als sicher und clever gegen Abwehr gelten, wie Defensiv-Schreck Hirano. "Ich habe in jedem Satz gekämpft, deshalb habe ich alle Sätze bisher gewonnen", versucht es Deutschlands Nummer eins, die bei diesem Turnier an Position vier gesetzt ist, mit einer Erklärung. "Wenn das mal immer so gehen würde", widerspricht ihr Bundestrainerin Jie Schöpp lachend.
Hirano hatte es mit weichen Topspins probiert, Li im Viertelfinale mit Mitschupfen - beide Konzepte hatten keinen Erfolg gegen Han Ying. Als Han und Li sich vor einigen Jahren noch in der Bundesliga duelliert hatten, war der Ausgang der Partien 50 zu 50. In Magdeburg kam die Wahl-Schwedin Li nicht mal in die Nähe eines Satzgewinns. Das hat bisher ohnehin nur Hirano geschafft, die Satz vier immerhin nur mit 9:11 verloren hatte. Dass Han Yings Spiel gegen Li Fen das EM-Einzel-Finale von Schwechat hätte sein können, hat Han, die EM-Dritte, nicht gestört. "So ist das im Sport. Wenn du das Spiel davor nicht gewinnst, nützen wir alle Theorien nichts", sagt sie. In Schwechat hatte sie im Halbfinale gegen ihre Nationalteamkollegin und tägliche Trainingspartnerin im DTTZ in Düsseldorf, Shan Xiaona, in fünf Durchgängen das Nachsehen. Vor gut drei Wochen im Endspiel der Deutschen Meisterschaften in Wetzlar war es deutlich enger. Diese Partie ging ebenfalls an Shan - 4:2 und mit einem Zeitspiel, dem ersten in der Karriere der 31-jährigen Shan. Sie wird auch am Sonntag in der GETEC-Arena die Favoritin sein. Han Ying sieht dem erneuten Duell gelassen entgegen. "Wenn ein Zeitspiel kommt, dann kommt es.“
Shan Xiaona, die zweifache Deutsche Meisterin von Wetzlar, hat in ihrem Viertelfinale Bundesliga-Mannschaftskollegin Georgina Pota vom ttc berlin eastside besiegt. Gegen die Ungarin benötigte sie fünf Sätze. "Es war hier sehr schwer gegen sie, aber ich bin zufrieden mit meiner Leistung", kommentierte Shan strahlend. Schwerstarbeit musste die Penholderspielerin eine Runde zuvor leisten. Gegen ihre Berliner Mannschaftskollegin Irene Ivancan lag Shan mit 0:3 nach Sätzen hinten, drehte die Partie dann noch zu ihren Gunsten.
Ivancan, die 30-jährige Abwehrstrategin hatte sich mit 11:8, 11:5 und 11:6 eine äußerst komfortable Führung erspielt, doch "Nana" fand immer besser ins Spiel. In Satz vier leitete die EM-Finalistin von Schwechat 2013 die Wende ein, gewann mit 11:8. Danach lief bei Ivancan zwei Durchgänge lang nicht viel zusammen. Im Entscheidungsdurchgang kämpfte sie sich nach 1:4-Rückstand zurück ins Match, glich am Satzende sogar aus. "Bei 9:9 ist mir leider überhaupt nichts eingefallen. Das ist wirklich ärgerlich", kommentierte Irene Ivancan. "Diese Niederlage macht eben den Unterschied aus, ob ich mit dem Verlauf eines Turniers, bei dem ich eigentlich gut gespielt habe, zufrieden bin oder nicht. Immerhin: Ich habe jetzt zwei Sätze mehr gewonnen als beim letzten Mal." Das war bei den Deutschen Meisterschaften in Wetzlar zu Monatsbeginn. Shan hatte sich dort im Halbfinale mit 4:1 durchgesetzt und sich anschließend den Titel gesichert.
„Am Anfang bin ich nicht gut reingekommen, war nervös und lag schnell mit 0:3 zurück. Irene hat wirklich gut gespielt und sich nur wenige Fehler erlaubt. Ich habe aber um jeden Ball gekämpft und so zurück ins Spiel gefunden“, erklärt Shan Xiaona ihre Aufholjagd.
Shan/Silbereisen verpassen Finaleinzug knapp
Die Bronzemedaille tröstet etwas über das verpasste Finale hinweg: Kristin Silbereisen und Shan Xiaona haben den Einzug in das Endspiel bei den German Open knapp verpasst. Im Halbfinale war gegen die eingespielte polnische Kombination Grzybowski/Partyka beim 2:3 Endstation. Die Deutschen Meister führten zwar mit 2:1, Satz vier und fünf gingen aber deutlich an die Gegnerinnen. „Je nachdem, wie wir in den einzelnen Sätzen gestanden haben, lief es besser oder schlechter für uns“, suchte Einzel-Halbfinalistin Shan Xiaona nach einer Erklärung. "Besonders die Linkshänderin Partyka spielt sehr schnell. Und das polnische Doppel agiert schon seit mehreren Jahren zusammen. Wir haben hier erst unser zweites Turnier gespielt. Leider können wir auch kaum zusammen Doppel trainieren“, ergänzte Kristin Silbereisen, die mit Shan Anfang März in Wetzlar Deutsche Meisterin geworden war. Nach der 2:1-Führung kippte die Partie gegen Grzybowska/Partyka. Im fünften Satz wurde das deutsche Duo noch zusätzlich aus dem Konzept gebracht. „Beim Stand von 3:1 wurde uns ein Aufschlag abgezogen. Das war im Entscheidungssatz natürlich bitter für uns“, sagte Silbereisen.
In der Runde zuvor hatten Shan/Silbereisen die Überraschungsviertelfinalistinnen Wu Jiaduo und Nadine Bollmeier mit 3:2 bezwungen. Ebenfalls keinen Podiumsplatz gab es diesmal für Sabine Winter und Petrissa Solja. Die Vorjahresdritten von Berlin, German-Open-Sieger von 2012 und amtierenden Europameister unterlagen im Viertelfinale der an Position zwei gesetzten Kombination Lee Ho Ching/Ng Wing Nam (Weltranglistenposition 22/31) aus Hongkong mit 0:3. "Vor heimischem Publikum wollten wir natürlich an den Erfolg aus dem Vorjahr anknüpfen. Wir können sicherlich noch ein bisschen besser spielen, allerdings sind die Asiatinnen erfahrungsgemäß sehr stark im Auf- und Rückschlagspiel“, analysierte das Duo Solja/Winter (38/77).