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Hier stehen die Zeichen gerade auf Angriff: Ying Han gegen Sun Yingsha (Foto: MS)
Nur wenige Gegnerinnen muss Ying Han weltweit fürchten. Gegen eine davon hat sie in Durban das WM-Viertelfinale verloren

Akribisch wie Ovtcharov und variabel wie Filus

SH 26.05.2023

Durban. Wer akribische Tischtennisspieler aus dem deutschen Nationalteam nennen soll, kommt in der Regel auf Dimitrij Ovtcharov und spätestens seit dessen Europameister-Titel von München auf Dang Qiu. Aber auch Ying Han ist eine, die absolut dazu zählt.

Wenn Europas Beste als Nummer neun der aktuellen Weltrangliste überhaupt mal ein Spiel verliert, fragt sie ihr Umfeld im nächsten Training, das nie lange auf sich warten lässt, sofort, was sie verbessern könne. „Woran kann ich noch arbeiten“, heißt es dann im Deutschen Tischtennis-Zentrum in Düsseldorf. Sie beißt sich im Training fest, macht die zielführenden Übungen wieder und wieder und wieder. Es ist erstaunlich, wie sie sich mit ihren inzwischen 40 Jahren immer weiter steigern kann. Gut angreifen etwa konnte die Defensivstrategin schon vorher, hat das nur zu selten im Spiel umgesetzt. Seit rund einem Jahr ist das anders. Die in Düsseldorf lebende Mutter einer neunjährigen Tochter ist längst nicht mehr die typische Abwehrspielerin. Aus ihr ist eine Allrounderin ähnlich wie bei den Herren Ruwen Filus geworden, und manchmal greift sie auch einfach nur noch an.

Ihre Gegnerinnen wirken, als hätten sie einen furchtbar schlechten Tag erwischt

Die meisten ihrer Gegnerinnen sind gegen die in Diensten des polnischen Spitzenklubs KTS Tarnobrzeg stehende diesjährige Champions-League-Siegerin vollkommen überfordert, was ihr reihenweisen 4:0-Erfolge auf den Turnieren dieser Welt wie in den ersten drei Runden in Durban eindrucksvoll unterstreichen. Ihre Kontrahentinnen in Südafrika, Englands Spitzenspielerin Tin-Tin Ho, die amtierende indische Einzel-Meisterin Sreeja Akula und Rumäniens Team-EM-Finalistin von 2021, Andreea Dragoman, wirkten von außen, als hätten sie alle drei einen furchtbar schlechten Tag erwischt. Dies lag aber nicht an ihrer mangelnden Form, es war vielmehr das Verdienst Ying Hans, die sie mit ihrem im besten Sinne unberechenbaren Spiel nicht zu Entfaltung der eigenen Stärken kommen ließ.

„Obwohl sie mit ihren 40 Jahren seit Langem in der Weltspitze spielt, ist sie immer noch bereit, Dinge zu verändern, Änderungsvorschläge anzunehmen und sich weiterzuentwickeln. Ihre Anpassungsfähigkeit ist eine ihrer Qualitäten“, lobt Bundestrainerin Tamara Boros. Beim Veränderungsprozess ist Han ein Vorbild der mündigen Athletin. „Bevor sie etwas umzusetzen versucht, will sie erst verstehen, wozu das Ganze gut ist. Sie macht Dinge nicht einfach, weil man sie ihr sagt. Das macht ihre Entwicklung nachhaltiger.“

Sun Yingsha, die technisch weltweit kompletteste Spielerin

So ein bisschen kam der alte reine Abwehr-Trott im Achtelfinale der Weltmeisterschaften gegen die Titelverteidigerin und Weltranglistenerste aus China, Sun Yingsha, allerdings wieder zum Vorschein. „Wenn man gegen sie ein paar Punkte macht, denkt man schnell, man spielt lieber mal auf Sicherheit. Im Endeffekt ist das aber nicht die richtige Taktik“, bekennt Han. Sie unterlag mit 0:4 der Frau, die technisch weltweit die kompletteste Spielerin ist, sich flexibel binnen kurzer Zeit auf jede Gegnerin einzustellen und sie zu entzaubern vermag, selbst die variable Ying Han. Daneben strahlt Sun am Tisch eine absolut abgeklärte Ruhe aus. Zurecht erwartet die Fachwelt von ihr in Durban das Triple. Mit Gold im Mixed hat sie entsprechend bereits am frühen Freitagnachmittag Titel Nummer eins geholt.

„Sie stellt sich unheimlich schnell auf mein Spiel ein und hat auch heute wieder technisch und taktisch hervorragend gegen mich gespielt“, sagt die zweifache Gewinnerin des Europe Top 16, Han. „Ich war von Anfang an gegen sie so unter Druck, dass ich keine Gelegenheit hatte, mal etwas Neues auszuprobieren, das sie überrascht hätte. Das hatte ich mir eigentlich vorgenommen.“

Bundestrainerin Boros kennt das Problem. Nur wenige Spielerinnen auf der Tour muss Ying Han fürchten. Gegen eine davon hat sie am Freitag gespielt. „Gegen Sun Yingsha ist es für Ying ähnlich schwierig wie gegen Mima Ito“, sagt die WM-Dritte von 2003 und freut sich über die Leistung ihres Schützlings in Südafrika ebenso wie über dessen Konstanz. „Das Viertelfinale bei einer WM ist aber ein wirklich super Ergebnis. Schon seit einem Jahr spielt Ying jetzt absolut stabil auf diesem hohen Niveau.“

Han: „Am Ende gegen die Nummer eins der Welt zu verlieren, ist völlig okay“

Auch die Spielerin selbst ist zufrieden. „Ich bin super glücklich, dass ich bei dieser WM unter die letzten Acht gekommen bin“, sagt sie über die erst dritte WM-Teilnahme ihrer Karriere. „Am Ende gegen die Nummer eins der Welt zu verlieren, ist völlig okay.“

Auch insgesamt haben Deutschlands Damen im ICC Durban überzeugt. „Genau wie Ying hat Nina wirklich sehr gut gespielt“, so Boros in ihrer Bilanz auch über die EM-Zweite von München, Nina Mittelham. „Für sie war gegen Wang Manyu in den zwei Sätzen, die sie gewonnen hat, wichtig zu sehen, dass sie mit den besten Chinesinnen mithalten kann.“ Auch das Einzel-Debüt der 16-jährigen Annett Kaufmann hob der Coach hervor, die der japanischen Weltklassespielerin Miu Hirano gleich zwei Sätze abgetrotzt hatte. Xiaona Shan „hatte es gegen Chen Meng“, die zweifache Olympiasiegerin von Tokio „natürlich sehr schwer“, und „für Sabine war die Niederlage gegen Monfardini natürlich schade“. Die amtierende zweifache Deutsche Meisterin Sabine Winter hatte gegen die für Italien startende ehemalige DTTB-Nachwuchskaderspielerin Gaia Monfardini in Bestform in Runde zwei nicht ihre Topleistung abrufen können.

Bundestrainerin Boros fordert: Im Doppel viel besser werden

Kritisch merkt Tamara Boros jedoch an: „Das Doppel müssen wir noch viel mehr trainieren. Bis zu den Olympischen Spielen in Paris haben wir noch ein Jahr Zeit. Bis dahin müssen wir viel besser sein.“

Ying Han wird sich nach ihrer einmal mehr hervorragenden Leistung eine kleine Belohnung am Samstag gönnen. Bei ihrem ersten Besuch in Südafrika will die Weltenbummlerin, die auch regelmäßig in der japanischen Liga aufschlägt, vor der Rückreise noch einen Ausflug machen. Eigentlich hatte ihr Ehemann Yang Lei, ehemaliger Bundesligaprofi, nun Teil des deutschen Trainerteams am Bundesstützpunkt in Düsseldorf und einer ihrer wichtigsten Ratgeber und Trainingspartner, vor dem Achtelfinale die Latte für diese Vergnügung hoch gehängt.

„Mein Mann hat vorher gesagt, ich dürfe morgen nur einen Ausflug machen, wenn ich gegen Sun Yingsha mindestens einen Satz gewinne“, verrät Han nicht nur die Vorgabe, sondern auch gleich ihre persönliche Auslegung dieser. „Beim WTT Champions Macao habe ich gegen sie zwei Sätze gewonnen. Dann nehme ich einfach die!“

DTTB-Präsidentin Herweg: „Sehr gutes Ergebnis bei den Damen“

Auch die Präsidentin des Deutschen Tischtennis-Bundes hat die WM direkt nach Abschluss der letzten bereits Partie mit deutscher Beteiligung schon eingeordnet. „Positiv ist, dass wir bei den Herren eine Medaille gewonnen haben, und das sogar mit dem nicht erwarteten Doppel“, bilanziert Claudia Herweg. „Wenn man das Abschneiden negativ bewerten will, haben wir im Männerbereich ein paar Hausaufgaben zu machen. Aber ich blicke optimistisch auf die nächsten Groß-Events. Man kann nicht bei jedem Turnier liefern. Nachdem wir bei den Europameisterschaften und bei der Mannschafts-WM hervorragende Ergebnisse hatten, war das jetzt bei den Herren diesmal einen Tick schlechter. Bei den Damen war es vor allem mit Yings und Ninas Leistungen sowie Annetts Einstand ein sehr gutes Ergebnis.“

Deutsches Aufgebot in Durban

Einzel-Wettbewerbe

Damen: Ying Han (KTS Tarnobrzeg, Polen), Nina Mittelham (ttc berlin eastside), Shan Xiaona (ttc berlin eastside), Sabine Winter (TSV Schwabhausen), Annett Kaufmann (SV Böblingen)

Herren: Dang Qiu (Borussia Düsseldorf), Dimitrij Ovtcharov (TTC Neu-Ulm), Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT), Ruwen Filus (TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell), Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt)

Doppel-Wettbewerbe

  • Damen: Nina Mittelham/Xiaona Shan, Annett Kaufmann/Sabine Winter
  • Herren: Benedikt Duda/Dang Qiu, Patrick Franziska/Dimitrij Ovtcharov
  • Mixed: Dang Qiu/Nina Mittelham, Patrick Franziska/Xiaona Shan                                 

Sportliche Leitung: Richard Prause (Sportdirektor)
Trainerteam: Tamara Boros (Bundestrainerin Damen), Jörg Roßkopf (Bundestrainer Herren), Lars Hielscher (Cheftrainer Düsseldorf), Xiaoyong Zhu (Bundesstützpunkttrainer), Sascha Nimtz (Experte für Videoanalysen, Wissenschaftskoordinator IAT Leipzig)
Medizinische Abteilung: Dr. Antonius Kass (Teamarzt), Dr. Christian Zepp (Sportpsychologischer Experte), Peter Heckert, Annette Zischka (Physiotherapeuten, OSP Hessen in Frankfurt/Main)
Organisationsleiter: Rainer Kruschel (Leiter Referat Leistungssport)

Weitere DTTB-Vertreter:
Dr. Torsten Küneth (Equipment Committee)
Schiedsrichter: Michael Zwipp (Oberschiedsrichter, Langen), Kerstin Duchatz (Herne)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Benedikt Probst, Manfred Schillings (beide DTTB)

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